Draht-Illusionen aus Scharnstein

Von Roswitha Fitzinger, 04. Juni 2022, 14:15 Uhr
Auf draht

Bild: VOLKER WEIHBOLD

“So etwas hab ich überhaupt noch nie gesehen.” Diesen Satz hört der Scharnsteiner Markus Moser oft – und zwar immer dann, wenn Leute seine Objekte aus Draht betrachten. Vor weißem Hintergrund gleichen sie Bleistiftstrichen, gebärden sich als Illusion, dabei sind sie Handwerk, das man anfassen kann.

Nicht verchromt, nicht versilbert, auch nicht aus Messing oder Kupfer – ganz gewöhnlicher schwarzer Eisendraht lehnt in großen Rollen an der hinteren Wand der Werkstatt, die einmal ein Hochseecontainer war. Aus dem 3,1 bis 4,2 Millimeter dicken Metall werden in der Welt da draußen hauptsächlich Zäune und Gitter hergestellt. Hier drinnen wird der Draht zuerst stets gerade gehämmert, dann zugeschnitten und in Form gebogen, Teil für Teil verschweißt – ein Vorgang, der sich unzählige Male wiederholt, bis das Gebilde der Wirklichkeit entspricht und doch auch wieder nicht. Der Betrachter wird einem Sessel oder einer Bank ansichtig, auf der er nicht (dauerhaft) Platz nehmen kann, steht vor einem Bücherregal, das keine Bücher trägt, erblickt ein Herz, das nicht schlägt, oder hat einen Schiffsanker vor sich, der sich mit zwei Fingern heben lässt.

Bild: VOLKER WEIHBOLD

Markus Moser nennt es Illusion. Ein Begriff, der die Faszination dessen, was er hier mit seinen Händen erschafft, am besten ausdrückt, wie er findet: “Im Grunde sind es nur ein paar Linien, die doch als Gegenstand erkannt werden. Meine Objekte gleichen Zeichnungen in einem Raum, nur dass die Bleistiftstriche Drahtlinien sind.” Zeigt Moser Fotos seiner Stücke, werden sie nicht selten zunächst für ebensolche Zeichnungen gehalten. “Erst wenn die Schatten wahrgenommen werden, werden sie als Objekte identifiziert.”

Der Drahtblick

Was Markus Moser formt, biegt und schweißt, fängt fast immer mit einem “Kopfspiel” an, wie er den Vorgang nennt, wenn sein “Drahtblick” an einem Gegenstand haften bleibt und er “in seinem Kopf Linien zu legen” beginnt.

Macht ihm Spaß, was sich da in seinen Gedanken zusammensetzt, bleibt er im Spiel und die Linien werden weitergesponnen – bis das Bild im Kopf fertig ist. Seine Spielwiese ist schier unendlich groß, besteht aus Gegenständen des Alltags, egal ob Bett, Schlitten oder Boot. Kreuzt eine Libelle sein Blickfeld, entstehen mitunter zwei Meter lange Libellenflügel. Rettet er eine kaputte Leiter aus dem Sperrmüll, wird der fehlende Teil mit Draht vervollständigt.

Als Spielerei hat vor mehr als 15 Jahren auch alles begonnen, denn als Drahtkünstler wird man nicht geboren – vielmehr als Sohn eines Tischlers und einer Büroangestellten. Der gebürtige Linzer absolviert eine Schlosserlehre und die HTL für Maschinenbau in der Abendschule. Seine berufliche Entwicklung vollzieht sich in der Folge immer stärker von der Produktion hin zur Konstruktion. Moser gründet eine Softwarefirma.

Auf draht

Bild: VOLKER WEIHBOLD

Vom Ankommen und Davonrennen

Doch es ist die Arbeit mit den Händen, die er vermisst. Er mietet sich einen Raum und beginnt wieder zu schlossern, macht Balkongeländer und Gartenmöbel für den Eigenbedarf, nicht ahnend, wohin all das noch führen wird.

Die meterlangen Formrohre und Profilstäbe, die damals bei ihm abgeladen werden, kommen gebündelt, zusammengehalten von einem Draht. Ein Abfallprodukt, das zunächst gesammelt in einer Ecke landet, doch eines Tages in des Schlossers Hände gerät. Er hat sofort einen Draht zum Draht, formt ihn, biegt ihn – eine “reine Spielerei”, aus der ein Bild entsteht.

“Was tue ich da überhaupt?” Diese Frage gibt es ebenso wie den Moment, in dem es “klick” macht und der die Geburtsstunde des Drahtkünstlers Markus Moser markiert. Weil es in seinem Atelier saukalt ist, baut er einen Ofen aus Draht. Der wärmt zwar nicht, aber mit ihm kommt die Gewissheit, sich fortan ganz den fragilen Objekten widmen zu wollen. Die Erinnerung daran ist nicht verblasst. Auch die erstmalige Vorstellung bei einem Linzer Galeristen bleibt haften. Dieser hält ihn zunächst für einen Käufer und schickt ihn dann mit einem “Schicken’S mir einmal etwas – aber per Mail” wieder heim ins Salzkammergut. Moser lässt ihm per Post eine Fotomappe zukommen und staunt nicht schlecht, als kurze Zeit später ein Anruf kommt – eine “schöne erste Bestätigung”, denen viele weitere folgen. Mittlerweile liegen hinter dem Scharnsteiner zahlreiche Ausstellungen, immer häufiger macht er auch Auftragsarbeiten – vorausgesetzt, “ich habe einen gewissen Spielraum und kann meine Ideen einbringen, sodass ich mich mit der Arbeit identifizieren kann”.

Bild: VOLKER WEIHBOLD

Sich von seinen Objekten zu trennen, fällt dem 52-Jährigen nicht schwer. “Sobald es fertig ist, ist es für mich abgeschlossen”, sagt er und meint nicht nur die handwerkliche Auseinandersetzung mit seiner Materie. So manche Arbeit ist auch eine thematische Aufarbeitung von dem, was ihn beschäftigt. Die Drahtkunst hilft dabei. “Es hat etwas Entspannendes und macht mich frei im Kopf.”

Auch wenn Moser seine Objekte am liebsten in einem Guss fertigstellt, ist das nicht immer möglich. “Manchmal kann ich sie einfach nicht mehr sehen, und dann muss ich davonrennen”, erzählt er und meint die räumliche und zeitliche Distanz, die es dann braucht – auch um stets zurückzukehren und das Werk, sein Werk, zu vollenden.

  • “Moserei”

Neben seiner Drahtkunst hat Markus Moser 2016 “Die Moserei” ins Leben gerufen. In den acht ehemaligen Hochseecontainern sind nicht nur sein Atelier und seine Werkstatt, sondern auch das Gastro- und Kulturprojekt. Es gibt ein wechselndes Angebot an (Mehl-)Speisen, außerdem Lesungen, Filmabende und Konzerte. Öffnungszeiten und Infos unter www.diemoserei.at